Die Nachbesetzung von kassenärztlichen Ordinationen für Allgemeinmedizin ist ein zunehmend schwieriges Thema. „38 Hausarzt-Stellen sind in Oberösterreich derzeit nicht besetzt, was eine erhebliche Einschränkung der allgemeinmedizinischen Versorgung der Bevölkerung bedeutet. Wobei verschärfend hinzukommt, dass in den letzten 20 Jahren die Bevölkerung deutlich mehr gewachsen ist als die Anzahl der Hausärztinnen und Hausärzte, sodass eigentlich weitere Stellen fehlen“, sagt OMR Dr. Wolfgang Ziegler, Kurienobmann-Stv. der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer für Oberösterreich. Von den vom Bund avisierten zusätzlichen 100 neuen Kassenstellen ist nicht viel zu sehen. Schon allein die tatsächlich unbesetzten Stellen bedeuten, dass 90.000 Bürgerinnen und Bürger nicht unmittelbar hausärztlich versorgt sind. Und das bei einer älter werdenden, multimorbideren Bevölkerung und zunehmend anspruchsvoller und aufwändiger Medizin. „Bei den wenigen Nachbesetzungen wird immer deutlicher, dass Kassenstellen mit Hausapotheke wesentlich leichter zu besetzen sind als solche ohne. Hausapotheken tragen somit ganz wesentlich zur allgemeinmedizinischen Basisversorgung der Bevölkerung im Allgemeinen bei“, weiß OMR Dr. Ziegler.
Derzeitige rechtliche Situation
Die Bewilligung einer Hausapotheke ist im Apothekengesetz geregelt. Da dieses ein Bundesgesetz ist, bräuchte es für wünschenswerte Änderungen einen Beschluss im Nationalrat. In diesem Gesetz ist festgelegt, dass der Berufssitz des Arztes von der Betriebsstätte einer öffentlichen Apotheke mehr als sechs Kilometer entfernt zu sein hat (§ 29 Abs. 3 Zi. 3). In der sogenannten Nachfolgeregelung ist die Bewilligung zurückzunehmen, wenn die Wegstrecke zwischen Hausapotheke und öffentlicher Apotheke vier Kilometer nicht überschreitet.
Situation in Österreich
„Bis zum Jahr 1998 gab es in Österreich einen stabilen Gleichstand zwischen knapp 1000 öffentlichen Apotheken und rund 1100 ärztlichen Hausapotheken. Zahlreiche Novellen des Apothekengesetzes und Entscheide der höchstrichterlichen Judikatur zum Nachteil der Hausapotheken haben aber dazu geführt, dass sich der Bestand ärztlicher Hausapotheken verringert hat, während die Zahl der öffentlichen Apotheken auf knapp über 1400 gesteigert wurde“, sagt Dr. Holger Grassner, Referent für Hausapotheken in der Ärztekammer für Oberösterreich. Die Zahl der Hausapotheken war im Jahr 2018 noch bei 845 und sank bis heuer auf aktuell 793. Durch das Festklammern an einem willkürlich festgelegten Bevölkerungsschlüssel fällt Österreich hinter andere Nationen zurück. Während es etwa in Österreich umgerechnet 1,6 öffentliche Apotheken je 10.000 Einwohner gibt, sind es in Deutschland immerhin 2,2. Nimmt man Deutschland als Maßstab, fehlen in Österreich also umgerechnet 540 Apotheken. Dieses Vakuum könnte von Hausapotheken problemlos aufgefüllt werden.
Situation in Oberösterreich
„Aktuell gibt es in Oberösterreich 246 hausapothekenführende Ärztinnen und Ärzte, die etwa ein Drittel der Bevölkerung medizinisch und medikamentös versorgen. Das entspricht knapp über 500.000 Menschen, die im ländlichen Raum leben. Die Anzahl blieb in den letzten 20 Jahren relativ konstant, jedoch hat die Bevölkerungszahl seither um knapp 40.000 Menschen zugenommen“, sagt Dr. Tassilo Dückelmann, Co-Referent für Hausapotheken in der OÖ-Ärztekammer. Öffentliche Apotheken versorgen in unserem Bundesland durchschnittlich 7200 Menschen, in Österreich sind es im Vergleich nur 6200 und in Salzburg oder Wien etwa 5800. Erfreulicherweise konnten in den letzten Jahren aber auch Gemeinden als Hausapotheken-Standort gewonnen werden. Gründe sind etwa die Verlegung von Ordinationen über die Sechs-Kilometer-Grenze, die Schaffung von neuen Kassenstellen oder die Installation von standortübergreifenden Gruppenpraxen. Beispiele sind stellvertretend Aurolzmünster, Hofkirchen im Traunkreis oder Mining.
Aktuelle Problemfelder
- Der Betrieb einer Hausapotheke wird derzeit durch eine sehr restriktive Regelung im Apothekengesetz beschränkt. Im Gesetz ist festgehalten, dass im Umkreis von vier Straßenkilometern einer öffentlichen Apotheke gar keine ärztlichen Hausapotheken bewilligt werden, im Umkreis zwischen vier und sechs Kilometern nur in Form einer Nachfolgepraxis.
- Die Folgen sind gravierend, beispielsweise Widersprüche bei Gutachten und Messungen der Straßenmeisterei, Begehungen durch eine
Bezirkshauptmannschaft, ob bestimmte Straßen zu Einbahnen gemacht werden können, um über die Sechs-Kilometer-Grenze zu kommen. - Bis heute hat sich die Situation nicht verbessert. Umgekehrt hat sich aber der Kassenärztemangel gerade im ländlichen Raum verschärft.
- Die aktuelle Situation lässt sich überspitzt so beschreiben: Medikamente in der nächsten Gemeinde oder gar im nächsten Bezirk zu holen ist in etwa so, als wenn man im örtlichen Wirtshaus das Essen bekommt, für das Getränk aber in den nächsten Ort zum Supermarkt fahren muss.
- Offensichtlich steht im Zentrum der geltenden Marktregulierung der Bestandsschutz der Anbieter und nicht zwingend die Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten. Dieser Diagnose schloss sich bereits im Jahr 2014 auch der EuGH an und verurteilte Österreich wegen des Modus zur Konzessionsvergabe für Apotheken. Auch der EuGH war der Auffassung, dass bei der Anwendung der 5500 Einwohnerregel die Gefahr bestehe, dass in Österreich für bestimmte Personen – vor allem für Menschen mit eingeschränkter Mobilität – die in ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken wohnen, kein gleicher und angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt sei.
- Diese ausreichende, adäquate, basismedizinische Versorgung der Bevölkerung ist umso wichtiger, als einerseits die Gesundheitspolitik ja ständig überlaufene Spitalsambulanzen beklagt, andererseits auch immer öfter die CO2-Belastung der Umwelt durch unnötige Transportwege beklagt wird und letztlich eine alternde, multimorbidere Gesellschaft auch immobiler wird.
- Was bei der Nachbesetzung von allgemeinmedizinischen Ordinationen auch immer beobachtet werden kann, ist eine durch die Sechs-Kilometer-Abstandsregelung bedingte „Abwanderung“ der Ordinationen in Randgebiete von Gemeinden. Dies ist ebenfalls eine eigentlich unzumutbare Verschlechterung der Versorgungssituation für unsere Patientinnen und Patienten.
Verbesserungsvorschläge
- Streichung der Kilometer-Grenze für ärztliche Hausapotheken zu öffentlichen Apotheken.
- Duales System mit einem Nebeneinander von öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken.
- Bessere Einbindung der Ärzte-Vertretung in die Gesundheitspolitik.
- Installation einer ärztlichen Hausapotheke in PVEs (aktuell 11 in OÖ). Aktuell ist es so, dass es in PVE-Standorten zwar Allgemeinmediziner gibt, die aber keine Medikamente mitgeben dürfen. Dazu klare Rahmenbedingungen für die Führung von solchen Hausapotheken in Primärversorgungseinheiten.
- Dispensierrecht für alle Ärztinnen und Ärzte.
Vorteile von Hausapotheken
Der flächendeckende Ausbau der Hausapotheken wäre aus verschiedensten Gründen wichtig und zielführend:
- Entfernungen minimieren: Im ländlichen Raum beträgt der Weg zur nächsten öffentlichen Apotheke oftmals 30 Kilometer und mehr. Ein Beispiel: Im Bereitschaftsdienst an Feiertagen und am Wochenende im Bezirk Kirchdorf hat die Patientin bzw. der Patient von Windischgarsten bis Wartberg/Krems hin und zurück knapp 90 Kilometer zurückzulegen.
- Ökologische Verbesserung: Das bedeutet einen enormen ökologischen Faktor und eine immense CO2-Belastung. Eine Studie des Energie-Instituts der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) zeigte bereits im April 2010, dass Hausapotheken durch die Einsparung unnötiger Wege jährlich den Ausstoß von 14.137 Tonnen Kohlendioxid und das Fahren von über 71 Millionen PKW-Kilometer vermeiden.
- Direkte Versorgung: Die Hausärztin bzw. der Hausarzt kann bei Hausbesuchen die notwendige Medikamentenversorgung der ländlichen Bevölkerung direkt sicherstellen. In Zeiten von moderner Logistik sind die Umwege über Apotheken für Patientinnen und Patienten insbesondere am Land nicht zu rechtfertigen. Nehmen wir das Beispiel eines Hausbesuches am Samstagabend mit der Diagnose Bronchitis. Wenn hier sofort das richtige Medikament vom Arzt verabreicht würde, muss daraus keine Lungenentzündung werden. Davon abgesehen, dass der Patient, der ja ohnehin schon so krank ist, dass er auf den Hausbesuch angewiesen ist, keine weiten und beschwerlichen Wege auf sich nehmen muss.
- Keine Gefahrenherde: Falls die Patientin bzw. der Patient öffentliche Verkehrsmittel nutzt, erspare man sich die Gefahr neuer Infektionsketten. Kranke Menschen in öffentliche Verkehrsmittel zu zwingen, ist vom infektiologischen Standpunkt ein Desaster. Das hat nichts mit Patientensicherheit oder Patientenservice zu tun.
- Einfach und diskret: Medikamentenabgabe auch in der Ordination und beim Hausbesuch – das ist patientenfreundlich, einfach und diskret.
- Wirkung: Die Einnahme teurer Medikamente durch die Patientin bzw. den Patient ist nachweislich besser, wenn diese persönlich vom Arzt verabreicht werden.
- Medikamentenengpass: Wenn ein Zweit- oder Drittlinienpräparat notwendig wird, weiß der Arzt genau, welches dieses wäre und hat dieses im Normalfall auch vorrätig.
- Bessere Besetzung von Kassenstellen: Laut Studie des Beratungsnetzwerks Kreutner, Fischer & Partner kann davon ausgegangen werden, dass durch den Ausbau der ärztlichen Hausapotheken die Anzahl der niedergelassenen Ärzte mit Kassenvertrag österreichweit um rund 400 Praxen steigen würde.
Vorteile für Patientinnen und Patienten
„Aus Sicht der Patientinnen und Patienten wäre aus den genannten Gründen eine faire Koexistenz von Hausapotheken und öffentlichen Apotheken ein großer Gewinn für die stetig wachsende Bevölkerung. Um eine umfassende Versorgung der Bevölkerung durch Diagnose und Therapie an einem Ort zu gewährleisten, braucht es aber die Streichung des § 29 Abs. 2 Z. 3 und damit die Aufhebung des unzeitgemäßen Gebietsschutzes der Apotheken“, so Dr. Grassner. Diesbezüglich hat sich auch bereits die Bundes-Wettbewerbsbehörde deutlich für eine Liberalisierung des Apothekenmarktes ausgesprochen. Die Behörde argumentiert, dass der größte Teil der in öffentlichen Apotheken verkauften Produkte nicht mehr so wie früher selbst hergestellt wird. Somit ist ein Grund für die weitgehend exklusive Distribution von Medikamenten durch öffentliche Apotheken weggefallen.
Bevölkerung für Abgabe in Ordinationen
Die Bevölkerung jedenfalls hat eine klare Meinung. In einer österreichweiten OGM-Befragung im Jahr 2012 zeigten von 2200 Befragten 66 Prozent eine deutliche Präferenz für die Abgabe von Heilmittel in der Ordination, nur 28 Prozent bevorzugten eine Apotheke. Dazu kommt, dass Heilmittelverordnungen der Hausapotheker der Sozialversicherung auf Grund höherer Nachlassregelungen günstiger kommen. Das bedeutet: Hausapotheken weisen kein unökonomisches oder ertragsoptimierendes Verhalten auf. Sie nutzen die gesamte Wirkstoff- und Produktpalette in jenem Ausmaß, wie es Ärzte ohne Hausapotheken tun.
Fazit
„Ziel muss also nicht nur die Sicherstellung der bestehenden ärztlichen Hausapotheken sein, sondern auch die Schaffung von neuen. Und damit auch die Schaffung von zusätzlichen Kassenstellen für Allgemeinmedizin, mit dem Ziel der optimierten Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Leistungen und Medikamenten. Es bleibt also zu hoffen, dass die gesundheitspolitischen Entscheidungen in Zukunft auf Bundesebene mehr faktenbasiert und mit mehr Empathie für die Patientinnen und Patienten getroffen werden“, so OMR Dr. Ziegler.
Fotocredit (c) OÖÄK/Manfred Binder